Gesundes Land

Im September vergangenen Jahres kündigte das Bundesgesundheitsministerium eine ­Gesetzesinitiative an, die 1 000 sogenannte Gesundheitskioske in strukturschwachen ­Regionen zum Ziel hat. Diese Einrichtungen sollen eine niederschwellige Anlaufstelle für Bürgerinnen und Bürger bei gesundheitlichen und sozialen Fragen sein und von den ­Kommunen wie Krankenkassen finanziert werden. Nun haben Pasel K Architekten aus ­Berlin im Rahmen eines Forschungsprojekts eine Konzeptstudie für eine solche Einrichtung entworfen, die in fünf Varianten in der Thüringer Dorfregion Seltenrain umgesetzt ­wurde.

Herr Pasel, was sollen Gesundheitskioske aus Ihrer Sicht künftig leisten?

Ralf Pasel-Krauthausen: Die Angebote zur Daseinsvorsorge sind im ländlichen Raum dramatisch auf dem Rückzug. In der Dorfregion Seltenrain etwa wird es in sechs Jahren keine zahnärztliche Praxis mehr geben. Seit 1990 wurde hier kein neues öffentliches Gebäude mehr gebaut. Wie soll da künftig eine ausreichende gesundheitliche Versorgung gewährleistet sein? Die Gesundheitskioske sind eine mögliche Antwort auf diese Frage. Wir schaffen einen Raum in der Dorfmitte, der als erste Anlaufstelle bei allen Fragen rund um die Gesundheit dient. Hier bietet eine Dorfkümmerin, wie wir sie nennen, zu festen Zeiten einen Beratungsdienst an, misst vielleicht Blutdruck oder Zuckerwerte, kann bei Bedarf aber auch den Kontakt zu weiteren medizinischen Angeboten herstellen etwa durch telemedizinische Einrichtungen. Hierzu wird derzeit ein Forschungsprojekt mit den Universitäts­kliniken Jena und Erfurt entwickelt, die künftig einen neurologische Sprechstunde per Videochat anbieten wollen.

Warum haben Sie sich die Dorfmitte als Standort für Ihre Kioske ausgesucht – und wie haben die Kommunen darauf reagiert?

Da haben wir viel unbürokratische Unterstützung erfahren, in einem Fall wurde sogar eine Bushaltestelle kurzerhand für uns verlegt, da sowohl eine direkte Busanbindung als auch ein ehrenamtlicher Fahrdienst des Landengel e.V., der gemeinsam mit der Stiftung Landleben unser Auftraggeber war, zum Konzept gehören. Die Dorfmitte ist deshalb so wichtig, weil es bei den Kiosken auch um Sichtbarkeit geht, denn idealerweise werden sie multifunktional bespielt. Jeder Kiosk hat eine überdachte Haltestelle, eine Servicewand, die zum Beispiel als Sitzbank, Regal, Ladestation oder Pop-up-Store mit Vertrauenskasse genutzt werden kann. Außerdem gibt es einen WLAN-Hotspot. Im Inneren dann einen Wartebereich, einen Sanitärraum und der Beratungsraum der Gemeindeschwester und Dorfkümmerin. Denn außerhalb der Sprechzeiten soll der Raum auch für weitere Angebote genutzt werden können, zum Beispiel für Pflege- oder Versicherungsberatung.

Durchlässige Architektur: Die Gesundheitskioske –
wie dieser in Blankenburg – reagieren auf ihre Umgebung, bieten aber auch einen Wiedererkennungswert
Foto: Pasel K Architekten

Durchlässige Architektur: Die Gesundheitskioske –
wie dieser in Blankenburg – reagieren auf ihre Umgebung, bieten aber auch einen Wiedererkennungswert
Foto: Pasel K Architekten

Die fünf Kioske ähneln sich – bis auf das im Rahmen der IBA Thüringen entstandene Projekt in Sundhausen – sind jedoch keine einfachen Modulbauten…

Es war uns wichtig, dass sie sowohl eine wiedererkennbare wie eine individuelle Komponente haben. Die vier Kioske in Blankenburg, Bruch­stedt, Kirchheilingen und Urleben sind jeweils experimentale Holzbauten mit einer maximalen Grundfläche von 25 m². Um beispielhaft die Möglichkeiten des Holzbaus auszuloten, haben wir mit Dach- und Wandaufbauten sowie Fassadenkonstruktionen experimentiert. Den Werkstoff haben wir auch deshalb gewählt, weil in der Region eine alte Tradi­tion des Holzbaus existiert. In der Ausgestaltung und Ausrichtung haben wir uns jedoch an der jeweiligen städtebaulichen Situation orientiert. Der Kiosk in Blankenburg hat zum Beispiel einen Durchgang zum Dorfplatz, in Bruchstedt hat er eher die Form eines Brückenwächters mit Sitzgelegenheiten, die sich der Brücke zuwenden.

Durch die Ähnlichkeiten nimmt man die Kios­ke­ als eine Art Stadtmöbel war, die eine erlernte Funktion übernehmen – ähnlich wie damals die alten gelben Telefonzellen.

Schön, dass Sie das so empfinden. Ja, die Sichtbarkeit und Wiedererkennbarkeit dient dem Ziel, Aufmerksamkeit und Bewusstsein zu bündeln. Das ist auch der übergeordnete Gedanke, der die fünf Dörfer der Region miteinander verbindet – und damit aus dem Vergessen in das Hier und Jetzt heben soll.

Was ist bei dem Projekt in Sundhausen anders?

Hier haben wir keinen Neubau erstellt, sondern unser Angebot als Raum im Raum in ein altes, verwaistes Konsum-Gebäude implantiert. Hier haben wir gleich zwei Räume – ein Raum für kommunale Angelegenheiten und einen für die Gesundheitsvorsorge – geschaffen. Außerdem haben wir mit der Wiederverwendung von Baumaterialien und mit der Bespielung des Außenraums experimentiert. Zahlreiche studentische Interventionen – wie zum Beispiel das Schneidern von Vorhängen aus alten Jeans der Dorf­be­wohnerinnen kommen hinzu. Hier war auch der Grad der Bürger-Partizipation noch einmal deutlich höher als bei den anderen vier Projekten.

Prof. Ralf Pasel lehrt an der TU Berlin ­Konstruktionsdesign und ist Gründungspartner von ­Pasel K Architects in Berlin. Das Projekt Gesundheitskioske hat beim Deutschen Städtebaupreis 2023 eine Belobigung ­erhalten.
Foto: Sto-Stiftung / Christoph Große

Prof. Ralf Pasel lehrt an der TU Berlin ­Konstruktionsdesign und ist Gründungspartner von ­Pasel K Architects in Berlin. Das Projekt Gesundheitskioske hat beim Deutschen Städtebaupreis 2023 eine Belobigung ­erhalten.
Foto: Sto-Stiftung / Christoph Große

Wie sah die aus?

In Sundhausen haben wir zum Beispiel gemeinsam mit den Anwohnerinnen und Anwohnern einen lange Tafel gebaut, an der die weiteren Partizipationstreffen stattgefunden haben und die heute für Versammlungen und Feste genutzt wird. Überhaupt schafft das gemeinsame Bauen eine höhere Identifikation mit dem Ort. Die äußere Lattung haben wir bei den vier Neubauten immer gemeinsam mit der Bevölkerung angebracht. Ansonsten haben wir aus den Verfahren viel über den tatsächlichen Bedarf erfahren. Die Projekte leben von dem Engagement vor Ort und sind nur dann ein Erfolg, wenn sie die Menschen und ihre Anliegen ernst nehmen und einen adäquaten Ort bieten.

Sehen sie künftig einen Bedarf, die Grundfläche und das Angebot der Kioske zu erweitern?

Sicherlich könnte man über einen zweiten Raum nachdenken, ähnlich wie in Sundhausen. Denn die Kioske sind seit ihrer Eröffnung in der Regel voll ausgelastet. Grundsätzlich geht es aus meiner Sicht aber um eine Skalierung in der Fläche. Anders als in Städten geht es in ländlich geprägten Flächenländern wie Thüringen immer auch darum, die Distanz zum nächsten medizinischen ­Angebot zu verringern. Hier können die Kioske künftig sicherlich eine wichtige soziale und infrastrukturelle Rolle einnehmen. Dafür müssen sich die Kommunen und Menschen jedoch selbst auch in hohem Maße einbringen.

⇥Interview: Jan Ahrenberg/DBZ

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